Oratorium

Oratorium
Andachtsraum

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Ora|to|ri|um 〈n.; -s, -ri|en〉
1. zum Beten bestimmter, mit Kruzifix u. Altar ausgestatteter Raum in Klöstern, Schlössern, Privathäusern
2. durch Fenster abgeschlossene Empore im Chor od. Langhaus einer Kirche (für Fürsten u. hohe Persönlichkeiten)
3. Gemeinschaftshaus der Oratorianer
4. 〈Mus.〉 mehrteilige, episch-dramatische, geistl. (auch weltl.) Komposition für Chor, Einzelstimmen u. Orchester
● \Oratorium des hl. Filippo Neri 1575 von diesem gegründete Kongregation für Priester u. Laien für seelsorger. u. erzieher. Tätigkeit; \Oratorium von Jesus und Maria 1611 gegründete französ. Weltpriesterkongregation [mlat., „Kapelle; Gebet“; zu mlat. orare „beten“]

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Ora|to|ri|um, das; -s, …ien [kirchenlat. oratorium = Bethaus, zu lat. orare = beten; das Musikwerk war urspr. zur Aufführung in der Kirche bestimmt]:
1.
a) <o. Pl.> Gattung von opernartigen Musikwerken ohne szenische Handlung mit meist religiösen od. episch-dramatischen Stoffen;
b) einzelnes Werk der Gattung Oratorium (1 a):
ein O. von Händel.
2.
a) [Haus]kapelle;
b) gegen den Hauptraum durch Fenster abgeschlossene Chorempore für Kirchenbesucher hohen Standes.

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Oratorium
 
[kirchenlateinisch »Bethaus«, zu lateinisch orare »beten«, »reden«] das, -s/..ri |en,  
 1) Baukunst: im frühen Mittelalter ein kleines Gotteshaus, später ein durch Fenster vom Chor oder Hauptschiff abgeschlossener logenartiger Emporenraum als Betsaal für vornehme Kirchenbesucher. In der Baukunst der Zisterzienser wird die Klosterkirche als Oratorium bezeichnet.
 
 2) katholisches Kirchenrecht: ein einer kirchlichen Gemeinschaft oder einem bestimmten Kreis von Gläubigen vorbehaltener Ort zur Feier des Gottesdienstes, zu dem jedoch prinzipiell auch andere Zugang erhalten können. Von der Kapelle (lateinisch »oratorium«) unterschieden wird die für eine Person (den Bischof) oder mehrere Einzelpersonen errichtete Privatkapelle (lateinisch »sacellum privatum«).
 
 3) katholisches Ordenswesen: Kurzbezeichnung für verschiedene religiöse Gemeinschaften, deren Mitglieder (Oratorianer) keine Ordensgelübde ablegen. Kirchenrechtlich gelten sie als »Gesellschaften des apostolischen Lebens«: 1) das Oratorium des heiligen Filippo Neri (lateinisch Confoederatio Oratorii Sancti Philippi Nerii), eine Vereinigung von Priestern und Laien; hervorgegangen aus einer 1552 von F. Neri in Rom gegründeten, 1575 päpstlich anerkannten Gemeinschaft von Weltpriestern. 2000 gehörten dem Verband (1943 päpstlich approbiert; Sitz: Rom) über 70 voneinander unabhängige Häuser mit rd. 600 Mitgliedern an. 2) das Oratorium von Jesus und Maria (lateinisch Congregatio Oratorii Jesu et Mariae), eine 1611 von P. de Bérulle gegründete, 1613 päpstlich anerkannte französische Weltpriestervereinigung mit zentralistischer Leitung. Sitz des Generaloberen ist Paris. Sie ging in der Französischen Revolution unter und wurde 1864 wieder errichtet. 2000: 9 Häuser mit rd. 80 Mitgliedern Beide Oratorien widmen sich der Wissenschaft und der Seelsorge.
 
 4) Musik: mehrteilige Komposition für Solostimmen, Chor und Orchester, meist geistlichen Inhalts, aber ohne liturgische Bindung. Von der Kantate unterscheidet sich das Oratorium in der Regel durch größeren Umfang und komplexere Struktur, von der Oper durch die epische Grundhaltung und eine nicht (oder nur andeutend) szenische Anlage.
 
Das Oratorium entstand im frühen 17. Jahrhundert in Italien, angeregt durch die Andachtsübungen und -gesänge in den Betsälen der römischen Bruderschaft des F. Neri. Der lateinische Gattungszweig (oratorio latino) wurzelt in den seit dem Mittelalter bekannten dialogischen Darbietungen liturgischer Texte; der volkssprachliche italienische Zweig (oratorio volgare) in den geistlichen Lauden- und Madrigalwerken. Das lateinische Oratorium ist ab etwa 1640 mit den Werken G. Carissimis als Gattung - meist mit Erzähler, Solorollen und wirkungsvollen Chorpartien - ausgebildet. Das italienische Oratorium verläuft in seiner Entwicklung in enger Anlehnung an die Oper (so schon E. de' Cavalieris »Rappresentazione di Anima e di Corpo«, 1600) und zeichnet sich durch rezitativ. und ariosen Sologesang und zunehmende Differenzierung der Instrumentalstimmen aus. Kennzeichnend ist die Rolle des eigenständigen Erzählers (»Testo«) und der gewichtige Anteil des Chores. Zu den führenden Oratoriumskomponisten im 17. Jahrhundert gehören L. Rossi, B. Pasquini, M. Cazzati, G. B. Vitali, A. Draghi in Italien und M.-A. Charpentier in Paris. Wie in Oper und Kantate dominieren im späten 17. und 18. Jahrhundert mit der venezianischen (A. Stradella) und Neapolitanischen Schule (A. Scarlatti, N. Porpora, L. Vinci, L. Leo) die Formen des Secco- und Accompagnato-Rezitativs und der Da-capo-Arie. In der neapolitanischen Tradition stehen auch A. Caldara in Wien, J. A. Hasse in Dresden und G. F. Händel, der das Oratorium nach England brachte und es mit einem reichen, ausdrucksvoll dramatischen Schaffen zur repräsentativen Kunstgattung des neuen, selbstbewussten Bürgertums erhob (»Esther«, 1732; »Israel in Ägypten«, 1739; »Messias«, 1742; »Samson«, 1743).
 
Im protestantischen Norddeutschland entstand im 18. Jahrhundert ein deutschsprachiges Oratorium, das an die Passion und die Historia anknüpfte und textlich eine durch Choräle ergänzte Paraphrasierung des Bibelworts darstellt (R. Keiser, J. Mattheson, G. P. Telemann, J. S. Bach, C. P. E. Bach). Unter dem Einfluss der Empfindsamkeit nach 1750 steht ein mehr lyrisch-idyllischer Typus, den v. a. C. H. Grauns »Der Tod Jesu« (1755) repräsentiert. In J. Haydns Oratorium »Die Schöpfung« (1798) und »Die Jahreszeiten« (1801) gelangte die Gattungsentwicklung zu einem Höhepunkt, an den die reiche Produktion des 19. Jahrhunderts anknüpfen konnte. Bedeutende Oratoriumskomponisten nach 1800 waren L. Spohr, C. Loewe, F. Mendelssohn Bartholdy (»Paulus«, 1836; »Elias«, 1846), R. Schumann (»Das Paradies und die Peri«, 1843), H. Berlioz (»L'enfance du Christ«, 1854) und F. Liszt (»Die Legende von der heiligen Elisabeth«, 1862; »Christus«, 1866). Die Musik des 20. Jahrhunderts verzeichnet eine Vielzahl weltlicher oder geistlicher Oratorien, darunter I. Strawinskys »Oedipus rex« (1927), P. Hindemiths »Das Unaufhörliche« (1931), A. Honeggers »Johanna auf dem Scheiterhaufen« (1938), F. Martins »In terra pax« (1944) und »Golgatha« (1948), E. Kreneks »Spiritus intelligentiae, sanctus« (1956), L. Berios »Traces« (1964), K. Pendereckis »Dies Irae« (1967), U. Zimmermanns »Pax questuosa « (1982) und R. Kunads »Stimmen der Völker« (1983).
 
 
A. Schering: Gesch. des O. (1911, Nachdr. 1988);
 
Führer durch den Konzertsaal, begr. v. H. Kretzschmar, Abt. 2,2 (51939);
 G. Massenkeil: Das O. (1970);
 M. Geck: Dt. Oratorien 1800 bis 1840. Verz. der Quellen u. Aufführungen (1971);
 E. Reimer: O., in: Hwb. der musikal. Terminologie, hg. v. H. H. Eggebrecht, Losebl. (1972 ff.);
 W. Oehlmann: Reclams Chormusik- u. Oratorienführer (71995).
 

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Ora|to|ri|um, das; -s, ...ien [kirchenlat. oratorium = Bethaus, zu lat. orare = beten; das Musikwerk war urspr. zur Aufführung in der Kirche bestimmt]: 1. a) <o. Pl.> Gattung von opernartigen Musikwerken ohne szenische Handlung mit meist religiösen od. episch-dramatischen Stoffen; b) einzelnes Werk der Gattung ↑Oratorium (1 a): ein O. von Händel, von Strawinsky. 2. a) [Haus]kapelle: ∙ die alte Frau ging auf den Geistlichen zu ... und verschwand in ihrem O. (Ebner-Eschenbach, Gemeindekind 137); b) gegen den Hauptraum durch Fenster abgeschlossene Chorempore für Kirchenbesucher hohen Standes. 3. a) Betsaal, Versammlungsort, Niederlassung der Oratorianer; b) <o. Pl.> Gesamtheit der Oratorianer.

Universal-Lexikon. 2012.

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